BAG: Kündigung bei Untersuchungshaft
BAG: Kündigung bei Untersuchungshaft
Im vorliegenden Fall ging es um die Frage, wann ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer aus personenbedingten Gründen kündigen kann. Der Arbeitnehmer war bereits zu einer Freiheitsstrafe zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Nach zwei Jahren befand sich der Arbeitnehmer wieder in Untersuchungshaft, wegen des angeblichen Betriebes einer “Haschisch-Plantage”. Der Prozeßbevollmächtige des Arbeitnehmers teilte mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei. Der Arbeitgeber erklärte daraufhin einen ordentliche personenbedingte Kündigung, gegen die sich der Arbeitnehmer wehrte.
Maßstabe für eine personenbedingte Kündigung ist § 1 II KüSchG. Die Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen. Maßgeblich ist eine objektive Prognose im Zeitpunkt der Kündigungserklärung.
Für die Kündigung reicht nicht einfach die Untersuchungshaft des Arbeitnehmers. Vielmehr muss der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternehmen und dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Auch muss der Arbeitgeber prüfen, ob er Überbrückungsmaßnahmen ergreifen kann, die aber nicht länger als 24 Monate dauern brauchen (!).
Im hier zu entscheidenden Fall war ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar. Im Zeitpunkt der Kündigung konnte der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer mit einer mehrjährigen Haftstrafe zu rechnen hatte, die voraussichtlich nicht zur Bewährung ausgesetzt würde.
So einfach sich der Fall anhört, so schwierig ist er tatsächlich. Das BAG bürdet dem Arbeitgeber das volle Risiko der Kündigung auf. Der Arbeitgeber muss in einem Kündigungsschutzprozess nachweisen, dass es zum Kündigungszeitpunkt bereits greifbare Anhaltspunkte für eine langjährige Verurteilung vorgelegen haben. Kann er dies nicht – zur Überzeugung des Gerichtes – nachweisen, kann er sogar den Prozess verlieren, selbst wenn der Arbeitnehmer später zu einer mehr als zweijährigen Haftstrafe verurteilt wird.
Man fragt sich schon, wie ein (normaler) Arbeitgeber die Haftaussichten beurteilen soll, obwohl er in der Regel kein Jurist ist und mit Strafverfahren in der Regel nicht zu tun hat. Dies gelingt eigentlich nur, wenn der Arbeitnehmer so erhebliche Vorstrafen hat, so dass eine längere Verurteilung als zwei Jahre offensichtlich ist (aber wann ist dies offensichtlich?). Oder, und dass ist die praktische Konsequenz, der Arbeitgeber muss tatsächlich die Untersuchungshaft und die Verurteilung abwarten, um die Dauer der “personenbedingten Abwesenheit” verbindlich zu kennen. Aber dies kann dauern. Da dies jedoch lange dauern kann, kann man einem Arbeitgeber nur raten, bereits während der Untersuchungshaft sein Glück mit einer Kündigung zu versuchen, da bei andauernder Untersuchungshaft kein Lohnrisiko besteht.
BAG, Urteil vom 23.05.2013 – 2 AZR 120/12